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Energiegeschichten
Grün kühlt

Wo die Fernwärme ausgebaut wird, werden Strassen grüner, kühler und wohnlicher. Friederike Meinhardt und Steffen Stoll zeigen dies bei einem Spaziergang durch das Bachlettenquartier.
Der Rütimeyerplatz ist umgeben von Bäumen. «Trotzdem entwickelt sich hier eine hohe Hitze», erklärt Friederike Meinhardt, Co-Leiterin der Abteilung Stadtraum, Städtebau & Architektur des Kantons Basel-Stadt. Der Platz wurde vor gut 20 Jahren umgestaltet, als der Hitzeschutz bei der Stadtgestaltung noch eine geringere Rolle spielte. Der Grundgedanke der damaligen Planung ist somit bereits überholt – zu heiss, zu wenige Pflanzen, zu viel Asphalt.
«Planungsideen sind Ausdruck ihrer Zeit und spiegeln das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur wider», sagt Friederike Meinhardt. «Heute würden wir den Platz anders gestalten.» Heute hat in Basel Hitzeschutz Priorität. Die Entsiegelung und Begrünung ist bei der Gestaltung des öffentlichen Raums zentral. Ausgerechnet die Fernwärme hilft nun, die Stadt schneller tauglich zu machen für ein heisseres Klima.
Kühlendes Grün und Fernwärme
Steffen Stoll plant mit seinem Team im Bachlettenquartier für IWB den Anschluss an die Fernwärme – und Friederike Meinhardts Abteilung folgt ihm mit ihrer Planung. Überall, wo er baut, kann sie, wenn die Gegebenheiten stimmen, den Boden entsiegeln, Begrünung planen oder gar Bäume pflanzen. «Wir ziehen die tiefsten Gräben im Strassenbereich. Wenn wir eine Strasse aufreissen, muss hinterher oftmals alles neu gemacht werden», erzählt Stoll. «Dann stimmen wir beide uns ab und entscheiden gemeinsam, auf welche Seite der Strasse wir die Fernwärme legen, damit auf der anderen tiefwurzelnde Bäume Platz haben.»

Friederike Meinhardt erläutert, dass ihre Mitarbeitenden die Strassenseite mit Bedacht und nach genauen Kriterien auswählen. So sollen auch Kaltluftströme durch die Strassen ziehen können. Das kühlt Häuser und Asphalt. Neue Bäume sollen diese Ströme möglichst nicht stören. Sonst würde ein Hitzeschutzeffekt einen anderen buchstäblich ausbremsen.
Die Gartenstact als Vorbild für moderne Planung
Das Paulusquartier im Bachletten ist eines der schönsten und grünsten Quartiere der Stadt. Es wurde Anfang des 20. Jahrhunderts nach den damals neuen Vorstellungen der Gartenstadt geplant. Es war eine Zeit, in der Elektrizität, Kanalisation, fliessendes Wasser im Haus, die Eisenbahn und elektrische Trams zum modernen Alltag gehörten. Aber die Menschen waren meist zu Fuss unterwegs, und das Auto hatte noch keine Priorität.
Diese über 100 Jahre alten Gartenstädte sind heute in ganz Europa begehrte Wohngegenden. Oft liegen sie in Fussdistanz zu einem Bahnhof, mit vielen Bäumen und einer Vielfalt von liebevoll durchgestalteter Jugendstil- und Artdéco-Architektur. Sie sind heute wieder Vorbild für moderne Quartiergestaltungen und Verkehrsplanungen.

Unter dem Boden ist der Platz knapp
Wie in vielen alten Quartieren sind im Bachletten Bauarbeiten für die Modernisierung der Infrastruktur sehr aufwendig. «Der Platz unter der Oberfläche ist sehr knapp», sagt Steffen Stoll. Vor allem die dick isolierten Transportleitungen der Fernwärme brauchen viel Platz im Untergrund. Da kämpfen Wasser-, Gas-, Strom-, Abwasser- und Glasfaserleitungen und Baumwurzeln um jeden Zentimeter. In der Arnold-Böcklin-Strasse zwischen Pauluskirche und Bundesplatz ziehen sich die Wurzeln der riesigen Alleeplatanen kreuz und quer durch die Fernheizungsgräben. Einige haben sich unter der Fahrbahn hindurchgetastet bis in die Gärten auf der anderen Strassenseite.
Unter den Bäumen braucht es grosse, zusammenhängende Bepflanzung. Das kühlt und wertet das Erscheinungsbild auf.
Ein von IWB beauftragter Landschaftsgärtner hat die Wurzeln fein säuberlich freigelegt und mit Jutestoff umwickelt. Das schützt sie vor dem Austrocknen. Um die Wurzeln nicht zu verletzen, haben die Planer den Graben für die Fernwärmerohre an einer Stelle um dreissig Meter Richtung Bahnhof SBB verlängert. So können die Monteure die langen Rohre unter den Wurzeln hindurch einfädeln.
Ein Tunnel aus Platanen kühlt Strasse und Häuser
Was sich unter der Erde um den Platz mit Rohren und Leitungen streitet, bildet oberirdisch einen imposanten grünen Tunnel. An einem heissen Sommertag ist der Klimaeffekt der Allee besonders eindrücklich. Im Platanentunnel ist es wunderbar kühl und wenige Meter entfernt in der baumlosen Therwilerstrasse drückend heiss. «Das ist die sogenannte Evapotranspiration», erklärt Friederike Meinhardt. Die Bäume dunsten Feuchtigkeit aus, welche die Luft in unmittelbarer Nähe der Kronen abkühlt. Die kühlere Luft sinkt ab und erzeugt unter den Bäumen einen starken Kühleffekt.
Evapotranspiration – diesen Begriff sollte man sich merken
Auch wenn sich den Begriff noch kaum jemand merken kann – bekannt ist die Evapotranspiration schon lange. Entlang den Kanälen in Frankreich wurden ab dem 17. Jahrhundert dichte Platanenalleen angelegt, um die hart arbeitenden Treidelpferde vor der Hitze zu schützen, während sie schwer beladene Lastkähne durchs Land zogen. Der Kühleffekt der Bäume verpufft allerdings, wenn die absinkende feuchtkühle Luft unten auf heissen Asphalt trifft – so wie auf dem Rütimeyerplatz.

«Genau deshalb ist das Zusammenspiel verschiedener Bepflanzungen wichtig», erklärt Friederike Meinhardt. «Ideal sind zusammenhängende Unterbepflanzungen mit Stauden und Büschen unter den Bäumen und nicht nur kleine Baumscheiben mit etwas Kies oder trockenem Gras.» Damit können die Böden mehr Feuchtigkeit aufnehmen und sie langsam wieder abgeben. Mit dieser und weiteren Massnahmen, die auch die Auf nahme des Trottoirwassers in Rabatten ermöglichen, wird ein Quartier zur «Schwammstadt», die auch in der Hitze kühl, grün und feucht ist.
Öffetnliche Kühle oder private Parkplätze
Die Schwammstadt ist nicht allein die Aufgabe der Stadt. Auch private Grundeigentümer können ihren Teil dazu beitragen – mit entsiegelten Flächen, Bäumen und Fassadenbepflanzungen, welche die Häuser und den nahe liegenden öffentlichen Raum im Sommer kühl halten. Auch dafür findet Friederike Meinhardt im Paulusquartier viele schöne Beispiele – mit Efeu, Klematis, Weinreben oder als Spalierbäume den Hauswänden entlang gezogenen Obstbäumen.
Abwägen und Verhandeln um den öffentlichen Raum
Allerdings: Kaum treffen private und öffentliche Interessen aufeinander, ist oft fertig mit der Idylle. Nicht nur unter dem Boden ist der Platz knapp, der öffentliche Raum darüber ist hart umkämpft: Trottoirs, Ausfahrten, die neu vom Stimmvolk beschlossenen Velowege, Feuerwehrzufahrten, Lieferantenverkehr fürs Quartierlädeli und natürlich Parkplätze, um die verbissen gekämpft wird. «Es gibt immer ein Abwägen und Verhandeln darum, wer wie viel Anrecht auf wie viel öffentlichen Raum hat», sagt sie.
In der «autogerechten Stadt», die sich seit den 1950ern als Planungsgrundsatz durchgesetzt hat, war die Priorität klar: Strassen, Parkplätze, Asphalt. In der grünen Schwammstadt dagegen wird das Recht auf eine wohnliche, kühle Umgebung mindestens genauso hoch gewichtet wie das Recht auf Parkplätze. Denn überall, wo ein Parkplatz verschwindet, werden die Bepflanzungen möglich, welche die Bäume so gut ergänzen.
Der Brunnen bewässert die Umgebung
Inzwischen tobt im Brunnen auf dem Rütimeyerplatz eine wilde Wasserschlacht. Kinder planschen und spritzen mit Wasserpistolen herum. Der Brunnen wurde einige Jahre nach der Sanierung des Platzes gebaut und entspricht modernen Schwammstadt-Vorstellungen. Alles Wasser versickert gezielt rund um den Brunnen im Boden. Damit sollen die Brunnen für die Kühlung der Stadt künftig so wichtig werden, wie sie jahrhundertelang für die Wasserversorgung waren. «Vielerorts läuft das Wasser der Brunnen noch in die Kanalisation», sagt Friederike Meinhardt. «Wir versuchen gemeinsam mit IWB bei jedem neuen oder umgestalteten Brunnen das Brunnenwasser in die Umgebung und ins Grundwasser zu leiten.»
Wir ziehen im Strassenbereich die tiefsten Gräben. Wenn wir eine Strasse aufreissen, muss hinterher oftmals ohnehin alles neu gemacht werden.

So bewässern die Brunnen direkt neue Pflanzen und Bäume, ohne dass mehr Wasser gebraucht wird. Und sofort ist man wieder bei den Nutzunsgkonflikten. Die neuen Plätze der Schwammstadt sind mit ihrer gehölzbetonten Unterbepflanzung dreidimensionaler als bisher. Auf einem kühleren Rütimeyerplatz hätten Pflanzen mehr und damit etwa der Dienstagsmarkt weniger Platz. Denn die jetzigen Kiesflächen rund um die Bäume wären dann für den Markt nicht mehr nutzbar. Aber auch dafür gibt’s Gespräche, Kompromisse, Lösungen.
Der Ausbau der Fernwärme gibt den Takt vor
Es mag seltsam anmuten, wenn ausgerechnet eines der grünsten Basler Quartiere so schnell wie möglich noch grüner werden soll. Aber der Ausbau der Fernwärme diktiert die Reihenfolge der Entsiegelungs- und Begrünungsprojekte. Gellert und Breite sowie Wettstein und Teile von Hirzbrunnen werden als Nächstes an die Fernwärme angeschlossen. Im Kleinbasel und vor allem im Matthäusquartier stehen schon bald Sanierungen der Leitungen an.
Überall, wo das Team von Steffen Stoll plant, spürt jenes von Friederike Meinhardt Hitze-Inseln auf. Für noch mehr Menschen wird so die Stadt kühler und wohnlicher. Und die Plätze wandeln sich von Verkehrsknoten zu grünen Orten mit Bäumen, Beeten und Brunnen, nach dem Prinzip «Badi statt Beton».
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